Über die LernOase

In meinem Kopf gab es schon lange vor Gründung der Oase Eckernförde die Idee einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche, die individueller und lösungsorientierter arbeiten sollte, als alles andere, was ich bisher kannte. Meiner Ansicht nach fehlte in der Landschaft der vielen Hilfsangebote etwas, was ich glaubte mit viel Sachverstand, Liebe zu meiner Arbeit und noch mehr Energie erschaffen zu können. Eine wirkliche Oase! 

Was passiert mit Kindern, die aus allen Helfersystemen fallen, weil massive Gewalterlebnisse ihr ganzes Selbst erschütterten? Oder was passiert mit jungen Menschen, die mit einer Erkrankung leben müssen, die ihre Entwicklung massiv beeinträchtigt? Wie können diese Kinder und Jugendliche ihren Platz in der Gesellschaft finden? Diesen Fragen wollte ich mit dem Angebot der Oase Antworten geben. Neben dem Wohnen und Leben und den therapeutischen Angeboten spielt die interne Schule in der Oase eine große Rolle. 

Ohne Bildung und ohne Schule ist dieses „einen Platz in der Gesellschaft finden“ kaum möglich. Die ersten Jungen und Mädchen in der Oase waren fast alle sogenannte Schulverweigerer. Sie hatten jahrelang keinen regulären Klassenraum mehr von innen gesehen, geschweige denn in solch einem systematisch gelernt. Ihnen fehlte das grundlegende Wissen, dass in ihrer Altersgruppe gang und gäbe war. Einige hatten nie gelernt zu lesen, zu schreiben oder/und zu rechnen.

Ich erinnere mich noch an einen Jungen, ich nenne ihn hier einmal Jan, der zu uns kam als er 12 Jahre alt war. Vorher lebte er 60 km entfernt in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein. Er war nie zuvor in seinem bisherigen Leben regulär länger als ein paar Wochen am Stück in eine Schule gegangen. Er konnte nicht richtig lesen und schreiben und hatte fast keine Vorstellung von dem Land in dem wir leben. Nach einigen Wochen berührte er uns Betreuer/innen mit der Aussage: „Es ist schön hier in Eckernförde. Das ist echt ein schönes Land. Viel krasser als Deutschland! Wo ich herkomme ist viel weniger Schnee im Winter, und es regnet mehr“. Unseren Winter genoss Jan sichtlich und in vollen Zügen und ganz nebenbei lernte er in der schulersetzenden Betreuung nach und nach, wie man einfache Texte liest, wie man mehr als seinen Namen schreibt und auch, dass Eckernförde eine Stadt in Deutschland ist. Aus der Aussage: „Wie? So groß ist Deutschland? Von hier bis nach Hause?“ wurde nach einem Jahr in der Schulbetreuung ein uns eher selbstverständlicher Strauß an Wissen über Bundesländer, Entfernungen, Staaten, Klimazonen und einem Bild im Kopf über unsere Erde. Mit ihren Kontinenten, ihren Meeren, ihren Tieren und Pflanzen. Der kleine Globus der Schule durfte mit in Jans Wohngruppe, und alle die es interessierte und auch alle die es nicht interessierte wurden von Jan in sein neu erworbenes Wissen eingeweiht. Es entstand eine Freude am „begreifen“ und am Wissen, die täglich auch im Alltag sichtbar war. Wir waren berührt davon, wie sehr ein Kind, dieses Kind, lernen wollte. 

Jedoch war für dieses Lernen ein sehr behüteter, enger Rahmen notwendig. Impulsdurchbrüche bei gefühlter Überforderung führten zu Zerstörungen in Ausmaßen, die keine Regelschule in Eckernförde mittragen konnte. Noten und Bewertung lösten eine komplette Verweigerungshaltung aus. Es gab keinerlei Zeugnisse von früheren Schulen, jedoch viele Gutachten und Klinikberichte, welche auf unlösbare Probleme in der Beschulbarkeit hinwiesen. So kam es erst nach ungefähr einem Jahr zum stundenweisen, dann tageweisen Besuch in einer örtlichen Regelschule mit dem Schwerpunkt im Förderbedarf Lernen. Immer eng begleitet wurde die Integration durch die Betreuer/innen und Lehrer/innen unserer Oase. Gibt es nun nach einigen Jahren einen Erfolg zu vermelden? 

Jan hat nach der neunten Klasse geplant und mit viel Wissen im Gepäck seine Schule beendet. Er macht ein berufsvorbereitendes Jahr mit dem Ziel, Landschaftsgärtner zu werden. Eine Lehrstelle ist ihm sicher, wenn er dieses Jahr der Berufsvorbereitung erfolgreich abschließen kann. Und dies sieht gut aus! 

Insgesamt ist Jan 14 Monate intern schulisch gefördert worden. Seine Integration in eine Regelschule dauerte ein halbes Jahr. Zwei weitere Jahre hat Jan die Regelschule genutzt und seinen Wissensdrang ganz normal wie alle anderen Kinder in seiner Klasse auch stillen können. Er konnte nachholen, nachreifen und sich sozial entwickeln in dem Tempo, welches ihm möglich war.

Das Beispiel von Jan gibt uns Kraft und Mut weiter individuelle Wege mit Kindern und Jugendlichen zu gehen in der schulersetzenden Betreuung. Fast alle Kinder und Jugendlichen, die unsere interne Beschulung nutzen, schaffen es ihren eigenen Bildungsweg zu gehen und sich ihren Platz in der Welt zu erobern. Wir haben Betreute erfolgreich in die Regelschulen unserer kleinen Stadt integrieren können, dessen Integration anfangs unmöglich erschien. Und wir haben jedes Jahr Betreute, die die interne Beschulung mit einem externen Haupt- oder Realschulabschuss verlassen und sich dann beruflich oder schulisch bilden können. 

Wir sind noch keine freie Schule, sondern bieten schulersetzende Betreuung für jungen Menschen an, deren schulische Integration bisher nicht möglich war. Das Ziel ist stets die vollkommene Integration in eine Regelschule, oder wenn dies auch mit größtem Bemühen nicht möglich ist, die Erlangung eines externen Haupt- oder Realschulabschlusses. Mehr als 85% aller jungen Menschen, die die interne Beschulung der Oase jemals nutzten, konnten eines dieser Ziele nach spätestens 2 Jahren erreichen. Mehr als die Hälfte erreichte das Ziel bereits nach einem Jahr.